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TRAINING : WISSEN
diesen Punkten abweichenden
Rechtsprechung“ so nicht mehr
festzuhalten?
Letztendlich sollte und soll die
sechsmonatige Beweislastumkehr
zu Gunsten des Verbrauchers
und der Konsumenten dem Um-
stand Rechnung tragen, dass es
für diese im Gegensatz zum Un-
ternehmer nur sehr schwer mög-
lich sein würde, eine Mangelhaf-
tigkeit bei Übergabe nachweisen
zu können.
Deshalb ist das Zeitmoment so
wichtig! Sechs Monate lang hat
der Konsument und Verbraucher
erhebliche Beweisvorteile. Er
wird allerdings, je länger er die
Sache übergeben bekommen hat,
umso weniger schutzwürdig, so
dass es grundsätzlich auch recht
und billig ist, ihm nach sechs
Monaten wieder die volle Be-
weislast aufzuerlegen.
Fraglich und vom BGH aktuell
zu entscheiden war jedoch, wo-
rauf die Vermutungswirkung in
den ersten sechs Monaten denn
genau abzielt? Wird schon der
Mangel an sich vermutet? Wird
vermutet, dass ein Mangel von
Anfang an vorhanden war? Wird
vermutet, dass ein erst später auf-
tretender Sachmangel von An-
fang zumindest latent vorhan-
den war? Wird etwa vermutet,
dass ein erst später auftretender
Sachmangel aus der Sphäre des
Verkäufers herrührt? Oder wird
vielleicht vermutet, dass ein erst
später auftretender Sachman-
gel doch dem Käufer zuzurech-
nen ist?
Um es auf den Punkt zu
bringen
Der Käufer muss nach wie vor
darlegen und beweisen, dass die
Sache überhaupt mangelhaft im
gewährleistungsrechtlichen Sinn
ist und dass dieser Mangel in
den ersten sechs Monaten nach
Übergabe aufgetreten ist.
Der Unterschied zur bisherigen
Rechtsprechung bzw. zur bishe-
rigen Auslegung der Vorschriften
zur Beweislastumkehr, liegt also
lediglich darin, dass zu Gunsten
des Käufers in den ersten sechs
Monaten nun nicht mehr nur ein
Umstand, sondern zwei Umstän-
de vermutet werden:
Zeigt sich der Mangel in den ers-
ten sechs Monaten nach Überga-
be, wird quasi zweistufig vermu-
tet, dass
Ì
Ì
Stufe 1: dieser bereits bei
Übergabe vorhanden gewesen
ist
Ì
Ì
Stufe 2: dessen Ursache in ei-
nem dem Verkäufer zuzurech-
nenden Umstand liegt. Der
Verkäufer haftet jedoch auch
in diesem Fall nicht uneinge-
schränkt, da jede Vermutung
widerlegt werden kann.
Kann der Verkäufer „rechtlich
hinreichend“ darlegen und be-
weisen, dass die Sache bei Über-
gabe frei von Mängeln gewesen
ist (etwa durch ein qualifiziertes
Übergabeprotokoll), ein Sach-
mangel also bei Gefahrübergang
noch nicht vorhanden war, weil
der fragliche Mangel seinen Ur-
sprung durch ein erst nach die-
sem Zeitpunkt erfolgtes, dem
Verkäufer nicht zuzurechnendes,
Handeln oder Unterlassen hat,
haftet er weiterhin nicht.
Kann der Verkäufer also darle-
gen und beweisen, dass der auf-
getretene Mangel, nicht ihm zu-
zurechnen ist, sondern – etwa
durch falsche Nutzung, falsche
Unterhaltspflege, o.Ä. – in der
Sphäre des Käufers entstanden
ist, haftet er nicht.
Schließlich ist auch auf die ge-
setzlich geregelte Ausnahme zur
Beweislastumkehr hinzuwei-
sen. Kann der Verkäufer näm-
lich darlegen und beweisen, dass
die Vermutung, dass bereits bei
Gefahrenübergang im Ansatz
ein Mangel vorlag, mit der Art
der Sache oder eines derartigen
Mangels unvereinbar ist (z.B.
schon beim Kauf erkennbare äu-
ßere Schäden) greift diese nicht.
Nachdem der BGH, gerade bei
der Frage, ob eine Sache durch
unsachgemäße Nutzung oder
etwa aufgrund eines von Anfang
an nicht erkennbaren Grund-
mangels mangelhaft ist, zwischen
sogenannten „akuten“ Mängeln
und „latenten“ Mängeln die Be-
weislast für die Mangelursache
bislang dem Käufer auferlegt
hatte, musste diese Rechtspre-
chung bei richtlinienkonformer
Auslegung tatsächlich richtiger-
weise aufgegeben werden.
Unter akutem Mangel wird z.B.
die Lieferung einer beschädigten
Ware verstanden. Unter latenten
Mängeln wird die Anfangsstufe
eines später eintretenden Man-
gels oder Grundmangel, z.B.
nicht erkennbarer Material-/
Herstellerfehler, o.ä. verstanden.
Im Übrigen hat sich aber
nichts geändert
Recht haben und Recht kriegen
sind je nach Beweislage nach wie
vor oftmals zwei Paar Schuhe
und im nationalen und interna-
tionalen Geschäftsverkehr von
vielen unterschiedlichen Parame-
tern abhängig.
Zusammengefasst ist daher, ge-
rade auch vor dem Hintergrund
der stetigen Entwicklungen zu
Gunsten des europäischen Kon-
sumenten und Verbrauchers,
nach wie vor zu empfehlen, sich
durch entsprechende ausreichen-
de Dokumentation bestmöglich
abzusichern, um Rechtsstrei-
tigkeiten vorzubeugen, latente
Rechtsstreitigkeiten gütlich zu
erledigen oder im akuten gericht-
lichen Verfahren zumindest sei-
ner jeweiligen Beweislast optimal
Genüge tun zu können. Dann ist
ein entsprechender Erfolg jeden-
falls zu vermuten.
www.kail-selz.deArtikel 5 Abs. 3 RL 1999/44/
EG (EU-Recht)
§ 476 BGB (Deutschland)
§ 924 ABGB (Österreich)
„Bis zum Beweis des Gegenteils
wird vermutet, dass Vertrags-
widrigkeiten, die binnen sechs
Monaten nach der Lieferung des
Gutes offenbar werden, bereits
zum Zeitpunkt der Lieferung be-
standen, es sei denn, diese Ver-
mutung ist mit der Art des Gutes
oder der Art der Vertragswidrig-
keit unvereinbar."
„Zeigt sich innerhalb von sechs
Monaten seit Gefahrübergang
ein Sachmangel so wird vermu-
tet, dass die Sache bereits bei
Gefahrübergang mangelhaft war,
es sei denn, diese Vermutung ist
mit der Art der Sache oder des
Mangels unvereinbar."
„Der Übergeber leistet Gewähr
für Mängel, die bei der Über-
gabe vorhanden sind. Dies wird
bis zum Beweis des Gegenteils
vermutet, wenn der Mangel in-
nerhalb von sechs Monaten nach
der Übergabe hervorkommt. Die
Vermutung tritt nicht ein, wenn
sie mit der Art der Sache oder
des Mangels unvereinbar ist."
Der Vergleich zeigt, dass die
maßgebliche europäische Re-
gelung und die Formulierungen
des BGB und/oder des ABGB
nahezu identisch sind. Sechs
Monate lang wird vermutet.